Zwischen den Fronten

Ich fühle mich hin und her gerissen im Moment. Ich bin nun mehr als 14 Tage in einem Deminer Camp der UN, in der Nähe von Juba und ich könnte mich an ein Leben in einem kaki farbigen Armeezelt, WC mit Ausblick und Abendessen unter klarem Sternenhimmel fast gewöhnen. Mein Campleben neigt sich langsam aber sicher doch dem Ende zu und ich muss mich erst einmal neu ordnen. In meinem Kopf läuft ein eigenartiger Film und ich leide an seniler Bettflucht. Meine Gedanken kommen nicht zur Ruhe und mein Kopf ist voll mit für mich doch fremden Begriffen. Wirre Abkürzungen, Minensuchhunde, TNT, Verteidigungstaktiken, Minelines, Bomben, Kontrollpunkte, Munition, Waffen, Korruption, Sprengstoff, Sonderkommandos, Explosionen, Anti-Personal- oder Anti-Tank-Mines. Dazwischen die vielen Fragen und noch mehr Antworten auf Arbeitsabläufe, interne Probleme und immer wieder das Thema Sudan. Ich habe eine ordentliche Portion Realität getankt und muss das alles erst einmal verstehen und verarbeiten. Es ist schwer das Leben so zu sehen wie es vorher war… nennt mich naiv!? Ich fühle mich hilflos und überarbeitet. Ich bin zu einer Gejagten geworden in meiner eigenen Welt. Die Löwin auf dem Baum fühlt sich bedroht und möchte sich irgendwo verstecken. Aber nur wo ?

Das Camp umfasst knapp 40 Mitarbeiter, die aus Simbabwe, Kenia oder aus dem Sudan stammen. Neben den Deminern auf dem Minenfeld, die mit Detektoren, großen und kleinen Maschinen, auch Minewolf genannt, und geschulten Minensuchhunden arbeiten, kommen noch diverse Sanitäter, Fahrer, Einkäufer, Mechaniker, Köchinnen und Haushälterinnen hinzu. Mein „Boss“ ist Simon Lovell, er ist gebürtiger Engländer. Er war 25 Jahre lang bei der NAVY, hat die letzten Jahre in unterschiedlichen Kriegsgebieten wie z.b. Irak oder Afghanistan verbracht und dort die Landstriche von Minen befreit.

Der Alltag im Camp beginnt für Mr. Simon schon um 5h. Es sind Berichte, Kalkulationen, Listen, Tabellen und noch mehr Papierkram die den Programm Manager schon am frühen Morgen erwarten. Arbeitseinteilungen der Mitarbeiter, Berechnungen über das vorhandene Budget, Eintragung von Koordinaten in Landkarten, Markierungen der gefundenen Minen, Kontrollen des täglichen Wasserbestand, Bestellungen der richtigen Kleidung, Einteilung der freien Tage, Berichterstattungen über die Maschinen, medizinische Betreuung, bezahlte und unbezahlte freie Tage, fehlende Holzkohle, schon wieder kein Wasser, nicht auftauchen von Mitarbeitern, Maschinenversagen, nicht einhalten von Arbeitsabläufen, zu spät kommende Bestellungen, nicht funktionierende Internetverbindungen, Unfälle von Firmenfahrzeugen, ständige Beschwerden der Arbeiter, zu viel Arbeit, zu wenig Zeit. Es ist ein ständiges Handyläuten, ein ständiges Kommen und Gehen. Das hört sich jetzt alles nach einem überbezahlten Sekretärinnen-Job an, aber vieles davon muss bis zur Morgendämmerung erledigt werden. Dazu kommen noch die kulturellen Probleme, die an der Tagesordnung stehen. Was soll man sagen, wenn die Angestellten dringend einen Tag frei brauchen, da sie ein schwarzes Huhn, ein schwarzes Schwein und eine schwarze Ziege bis zum Morgengrauen geschlachtet haben müssen um die Familienehre wieder herzustellen…? (Lachen ist dabei strengstens verboten.)

Viele der Arbeiter sind Soldaten der SPLA oder sind es immer noch. Ich habe versucht heraus zu finden was sie genau gemacht haben als sie Soldaten waren, aber leider habe ich auf diese Frage (noch) keine klare verständliche Antwort bekommen. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass die Menschen hier viel reden und dabei oft nichts sagen können. Oder sie wollen es mir einfach nicht erzählen? Meist schweifen die Menschen ab bei dem Thema „Krieg“ und ich bekomme das Gefühl, dass sie sich auf einmal in einer anderen Zeit befinden. Sie erzählen mir, dass sie immer gegen die Araber kämpfen werden, wenn es nötig ist und dass sie sich nie wieder wie Sklaven behandeln lassen! Wie auch immer… das soll noch ein eigenes Thema werden.

Die Uhr schreibt kurz nach 7h und die Sonne ist noch am Aufwachen, als ich das erst mal in voller PPE (Personal Protectiv Equipment = einem speziellem Schutzhelm und Splitterschutzweste) Montur und mit meiner Kamera ausgerüstet auf dem Minenfeld stehe. Überall um mich herum stehen rote, weiße, blaue, grüne oder gelbe Stöcke, manchmal Steine, die das Gelände in ein buntes Labyrinth verwandelt haben. Dazwischen gibt es immer wieder kleine Papptafeln, die unterschiedliche Areas kennzeichnen. Es ist doch ein komisches Gefühl, die schwarzen Männer in ihren knallig orangefarbigen Overalls und dem PPE durch das Gelände rennen zu sehen. „Hier können jetzt also die Minen sein…?!“ Der FM (Field Manager) erklärt mir die unterschiedlichen Bedeutungen der buntbemalten Stöcke und meint das Wichtigste ist: Weiße Stöcke = Safe Area, Rote Stöcke = Dangerous Area. Das kann ich mir merken. Mit großen fast panzerartigen Maschinen wird m² für m² die Erde umgegraben und versucht die versteckten Minen ausfindig zu machen. Wenn der große Minewolf über eine Mine drüber fahren sollte, gibt es scheinbar „nur“ einen lauten Knall. Die Überreste werden eingesammelt und vernichtet. Leider hatte ich nicht das Vergnügen dieses Ereignis persönlich zu erleben und muss daher auf Erzählungen der Minenarbeiter zurückgreifen.

Ich habe mir erklären lassen wie die Minensuchhunde (MDD = Mine Detection Dog ) arbeiten. Schon als kleine Welpen werden sie spielerisch an Sprengstoff gewöhnt und auf die spezifischen Anforderungen auf dem Minenfeld trainiert. Bis zu 1500m² können täglich mit den Hunden abgesucht werden, wenn das Gelände es zu lässt. Die Ausbildung dauert fast 2 Jahre und die Hunde können bis zu ihrem 7./8. Lebensjahren als Minensuchhunde eingesetzt werden. Später können sie gerne in tierliebe Hände abgegeben werden. Damit ein Hund die meist bis zu 13cm tief im Erdboden vergrabenen Minen ausfindig machen kann, müssen die richtigen Arbeitsbedingungen herrschen, die vor jedem Arbeitsbeginn mit einem kleinen Messgerät geprüft werden. Es muss trocken, es darf nicht zu windig oder gar zu heiß sein. Zusätzlich werden die Hunde selbst jeden Tag durchgecheckt ob sie auch bester Gesundheit sind. Es ist spannend mit anzusehen, wie die Hunde über das gekennzeichnete meist 10x10m große Gelände rennen und konzentriert alles abschnüffeln. Wenn sie etwas gefunden haben, setzen sie sich daneben hin und warten auf ihre Belohnung. BRAV! Ein tolles Spiel…?!

Die Stimmung ist im Camp ansonsten sehr angenehm und dennoch herrscht ein unausgesprochener Futterneid unter den Arbeitern. Ausreden auf ihre Kultur und die damit verbundenen Traditionen stehen oft an der Tagesordnung und erfordern ein gesundes Maß an Diplomatie. Das richtige Fingerspitzengefühl für eine gute Lösung der unterschiedlichen Probleme ist genauso wichtig wie eine klare Führung. Ich bewundere Simon oft dafür mit wie viel Ruhe und Geduld er sich die Ausreden anhört über Zuspätkommen, vergessene Rechnungen oder nicht erledigte Aufgaben. Bitte versteht mich nicht falsch, die Jungs machen einen guten Job und nicht jeder Tag ist immer sehr „afrikanisch“, aber als Programm Manager solch eines Camps im Sudan sind gute Nerven ein absolutes Muss. Bei mir kam ziemlich schnell die Frage auf, wie ist es überhaupt möglich mit afrikanischen Arbeitern, solch einen Job zu machen? Es ist für mich etwas unverständlich das diese Männer, die nicht mal ihre eigene Konvektionsgröße wissen, eine Mine entschärfen können sollen. Welche Voraussetzungen sind nötig um als „Deminer“ auf das Minenfeld geschickt werden zu können? Ich habe keine Erfahrung was den Krieg oder das Leben während des Krieges angeht, aber mir fehlt bei den Arbeitern die genügende Voraussicht in ihrem eigenen täglichen Leben, um solch eine Verantwortung übernehmen zu können! Die Antwort ist relativ simple: Keine! Die UN schickt die zukünftigen „Deminer“ zuerst in ein 4 wöchiges Intensivtraining, wo sie alles über unterschiedliche Minen, Bomben etc. und den Umgang mit dem nötigen Equipment lernen müssen. Nach einigen Examen, Prüfungen wieder Trainings in Theorie und Praxis, die sie alle bestehen müssen, sind sie offiziell befugt auf dem Minenfeld zu arbeiten. Das Entschärfen einer Mine gehört zu dieser Ausbildung nicht dazu. Es gibt zu viele Faktoren, die einkalkuliert und Risiken die berücksichtigt werden müssen. Es bedarf der nötigen Erfahrung, Wissen und Geschick diese Aufgabe übernehmen zu können. Das heißt, wenn eine Mine gefunden wird, muss die Area rund um die Mine markiert werden und den Rest machen die Leute, die sich auskennen. Je nachdem welche Art von Mine es ist und in welchem Zustand das gefundene Objekt sich befindet, wird sie ausgegraben, gesprengt oder einfach nur verbrannt. Ich habe oft die Frage gestellt bekommen: haben diese Männer denn keine Angst, schließlich könnten sie mit einer falschen Handbewegung ja verletzt werden oder gar ums Leben kommen …? Laut den Angaben verschiedener Minenarbeiter hab ich gesagt bekommen, dass sich jeder Minenarbeiter sich seiner Aufgabe bewusst ist und sie alle auf genau auf diese Situation vorbereitet wurden. Der genügende Respekt, die richtige Aufmerksamkeit und das Wissen, es könnte was passieren, lassen den Minenarbeiter seine Arbeit tun. Bevor ein Deminer-Team aber überhaupt auf ein Minenfeld kommt, hat dieses Gelände schon einige Kontrollen, Sicherheitsmaßen und Inspektionen hinter sich. Es wurden schon die unterschiedlichsten Informationen gesammelt: z.b. wurden Einheimische mit Bildern über verschiedene Minen befragt und später die verschiedensten Spezialeinheiten entsandt, die sich einen Überblick über das Gelände verschaffen. Das heißt die Minenarbeiter arbeiten nach einem schon vorgefertigten Plan. Sie sind meist die letzte Instanz in einem sehr bürokratischen System und sind dafür da um die schon gesammelte Information so ordnungsgemäß wie nur möglich umzusetzen. Natürlich besteht immer ein Risiko, denn niemand weiß genau wo und ob überhaupt Minen sich unter der meist roten Erde befinden. Es ist das richtige Hintergrundwissen über das vergangene Kriegsgeschehen, das Verständnis für Politik und das Kennen der Beteiligten in der Geldmaschinerie Krieg, das eventuell etwas Aufschluss darüber geben könnte, welche Art von Minen verwendet worden sind. Dennoch, Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel: Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich eine Mine seit Jahren auf einem Fußballfeld oder auf einem Schulgelände befindet ohne das es jemand gestört hat und nur ein „dummer“ Zufall die Playarea plötzlich zur Dangerous Area umbenannt worden ist… and nobody cares.

Minen werden aus unterschiedlichen Gründen eingesetzt. Die Entscheidung liegt bei Angriff oder Verteidigung. Je nach Taktik, je nach anstrebendem Ziel und der richtigen Mineline können diese meist aus Plastik, etwas Sprengstoff und einem Auslösemechanismus bestehenden Sprengkörper sehr effizient eingesetzt werden. Das Ziel ist es dem Gegner immer einen Schritt voraus zu sein und zu versuchen die nächsten Schritte seines Feindes gleich mit ein zu planen. Daneben gilt es die Umgebung und die Gegebenheiten des Landstriches zu kennen. Gibt es Berge, Hügel oder irgendwo einen kleinen See? Wo könnte sich der Feind ausruhen und wo könnte er seine Lage aufstellen wollen? Es ist ein Strategiespiel ohne Regeln. Es klingt jetzt in diesem Zusammenhang vielleicht etwas eigenartig, aber das ganze Thema klingt für mich doch ziemlich spannend. Hier im Südsudan allerdings werden nur wenige richtige „Minelines“ entdeckt, die durch ihre Art und Weise wie sie vergraben worden sind ein Minenmuster ergeben bzw. einer Strategie nahe kommen könnten. Die gefundenen Minen sind eher ohne Ziel und noch weniger Sinn in der Landschaft verstreut worden und somit können nur Vermutungen ausgesprochen werden warum sich ausgerechnet hier Anti-Personal (AP) oder Anti-Tank Mines (AT) befinden. Es gibt für viele gefundene Minen keine klaren Hinweise oder Absichten. Es muss ohne jegliche Logik einfach so hingenommen werden, wie viele Dinge hier. Es ist einfach so.

Ich möchte am Schluss meiner im Verhältnis umfangreichen Information und recht kurzen Zusammenfassung anmerken, dass ich viel gelernt habe und es mir nicht möglich ist, alles in diesem Bericht zusammen zu schreiben. Vieles möchte ich auch gar nicht zu Papier bringen… Gerne versuche ich aber offene Fragen Eurerseits zu beantworten.

Ein DANKESCHÖN geht an die Firma Mine Tech International, die mir die Erlaubnis gegeben haben Bilder von ihrer Arbeit machen zu dürfen. Ein besonderes DANKESCHÖN geht an Simon Lovell und Damir Liuc. Die beiden haben sich während meines Aufenthalts rührend um mich gekümmert und ohne ihren persönlichen Einsatz wäre solch eine tolle Erfahrung für mich nicht möglich gewesen.

© Corinna

Kurze Hintergrundinformationen:

Die Firma Mine Tech International arbeitet im Auftrag der United Nations und ist in verschiedenen Ländern weltweit tätig. Das Team von Simon Lovell ist seit Oktober 2007 im Südsudan stationiert. Es hat mehrere hundert Minen aus der Erde geholt und mehr als 1 500 000 m2 afrikanischen Boden gesäubert. Bis zum heutigen Tag wurden keine Minenunfälle während der Entminungsarbeiten vermerkt. Aus politischen Gründen wird das Entminen während der Wahlen, die im April 2010 stattfinden werden, eingestellt. Alle UN Verträge laufen vorerst bis 2011. Was danach sein wird ist noch ungewiss. Laut einer Statistik sind bisher im gesamten Sudan 4263 Menschen durch eine Mine verletzt und registriert worden (Dezember 2009). Es leben 39 379 358 Menschen im Sudan auf einer Fläche von 2 505 810m² (Juli 2007).

www.minetech.co.uk

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