Verwirrt in Afrika

Ich habe wahrscheinlich die längste Reiseroute hinter mir, die man von Juba im Südsudan nach Kampala in Uganda auf afrikanischen Straßen machen kann. Ich weiß nicht genau wie viele Kilometer ich in diesen 2 Tagen zurückgelegt habe, werden Distanzen eher in Tagen und Stunden gemessen, aber es war ziemlich anstrengend. Ich sehe aus wie ein zerrupftes Huhn in Turnschuhen und habe wahrscheinlich auch so gerochen als ich in einem Luxushotel in Kampala eingetrudelt bin. Erst in der Hotellobby wird mir bewusst, wie weit weg ich doch war von Zivilisation und dem ganzen Klimbim hier, der mich im ersten Moment eigentlich mehr überfordert hat als euphorisch werden läßt … das die Damen beim Empfang mich nicht gleich wieder vor die Tür gesetzt und mir sogar ein Zimmer geben haben, wundert mich. Glück muss man haben oder manchmal reicht auch einfach eine Kreditkarte.

Mein „Schokolade-Dealer“ hat Wort gehalten und heißt Onesimus. Er ist 47 Jahre alt und besitzt in Juba einen Supermarkt. Mit seinem Land Cruiser, einer seiner Angestellten Grace und seinem persönlichen Driver Jacob, der sogar extra eine blaue Fahrermütze aufgesetzt hat, geht es kurz nach 7h los. Raus aus Juba und Richtung Yei. Ich bin am hellen Morgen noch nicht richtig gesprächig und würde am liebsten nur schlafen, aber bei einer Straße, die nur mit max. 40 km befahren werden kann, schlage ich mir einfach zu oft den Kopf an der Fensterscheibe an, anstatt auch nur ein Auge zu zumachen, aber auch an das bin ich mittlerweile mehr oder weniger schon gewöhnt. Wir fahren über Stock und Stein, mal links herum, mal rechts herum, vorbei an verdorrter Vegetation, blühenden Pflanzen und verbrannter Erde. Dazwischen immer wieder Berge von Müll. Kurz vor dem ersten Kontrollposten von Polizisten und Soldaten, die unter den Bäumen sitzen und ihre Schnur in Händen halten, ermahnt mich Onesimus niemanden zu sagen wohin wir unterwegs sind, am besten ich sollte einfach gar nichts sagen, er macht das schon. Auf die Frage „Warum?“, kann er mir keine Antwort mehr geben, denn es sitzt schon der erste angetrunkene Soldat neben mir im Auto. Weshalb? Keine Ahnung! Beschützt er uns jetzt bis zur Grenze oder wie? Und was um alles in der Welt hat er um diese Uhrzeit schon getrunken? Er stinkt wie ein Stück totes Tier, welches in einem Kassawa-Schnapsfass übernachtet hat und das Wort „Deo“ scheint in seinem Vokabular nicht vorzukommen! Einfach widerlich! Sein breites Grinsen macht die ganze Sache dabei auch nicht besser, im Gegenteil. Am besten Mund zu, Mister! Die Soldaten sind für mich, nach wie vor, sehr unberechenbare Menschen und ich kann nicht annähernd einschätzen was bei diesen Männern im Kopf herum geht wenn sie mich anschauen. Sie stolzieren umher wie ehrwürdige Könige und glauben sie sind wer in ihren meist viel zu großen Uniformen und der schon von weitem leuchtenden roten breiten Schleife am linken Oberarm, mit der Aufschrift SPLA. Viele von ihnen sehen eher lächerlich aus, trotz Waffe, die manchmal an einer farbigen Plastikschnur am dürren Körper baumelt.

Während der ganzen Fahrt sehe ich ständig Menschen umherirren, wo ich mir denke: Seit Stunden habe ich nichts und niemanden gesehen, wo wollen diese Menschen nur hin mit ihrem schweren Grasbündel auf dem Kopf oder dem großen Wasserkanister? Da ist doch nichts außer Busch? Aber vielleicht ist doch irgendwo ein Village, ich weiß es nicht. Ein Stunde oder zwei später steigt der Soldat wortlos aus und verschwindet in den wirren Wegen eines kleinen Dorfes. Ich bin erleichtert und kann endlich wieder atmen. Aber ich habe mich zu früh gefreut. Kaum ist der Soldat ausgestiegen kommt schon der nächste ungewaschene „Dinka“ daher. Er fragt erst gar nicht lange, ob es recht ist, wenn er ein paar Kilometer mit fährt, er steigt gleich ins Auto ein. Ich merkte, dass das den Anderen irgendwie gar nicht passte, aber was tun? Auch er stinkt aus dem Mund wie verfaulte Eier. Was ist nur los heute Morgen? Haben die alle ihr Stöckchen zum Zähne putzen im Busch nicht gefunden? … Bloß nicht anschauen, ich will mich auch mit Dir nicht unterhalten! Auch er geht nach einigen Kilometer seine Wege.

Wir fahren und fahren und fahren. Der CD-Player spielt seit mehr als 2 Stunden ein und dasselbe Lied und die Sonne hat ihren höchsten Punkt erreicht. Immer wieder tauchen im nirgendwo kleine Tukuls auf und plötzlich steht man mitten in einem kleinem Dorf. Kleine Holzhütten hier, Menschen, die Fahrräder reparieren, Frauen, die Tee auf Plastiktablettes herumtragen, Kinder, die in schmutziger Kleidung herum rennen da. Und überall die Wahlplakate der anstehenden Wahl. Was ich vor unserer Abreise nicht wusste war, dass Onesimus aus dieser Gegend hier kommt und jeden und alles kennt. Das heißt es ist ein ständiges Anhalten, Geld verteilen, aussteigen, Hände schütteln, Mango essen, wieder „Hallo“ sagen, wieder einsteigen, wieder aussteigen… so kommen wir natürlich nie irgendwo hin, wenn hier Jeder und Alles begrüßt werden muss. Natürlich handelt es sich nur um die nähere Verwandtschaft, die voller Freude begrüßt und umarmt wird. Ich kenne nun seinen Vater, seine Mutter, 7 Brüder, 5 Schwester, 17 Tanten, 14 Onkels… bei den Cousins und Cousinen hatte ich aufgehört zu zählen. Ich weiß nun unter welchem Mangobaum Onesimus geboren ist und kenne seinen Lieblingsplatz. Ich weiß wo die heimatliche Kirche steht und kenne fast alle seine Nachbarn. Ganz nebenbei erfahre ich, dass wir Kampala erst morgen erreichen und irgendwo übernachten werden. Ich frage gar nicht erst nach wo genau wir unser Nachtlager haben werden. Mitgegangen, mitgefangen…! Ich habe es ja so gewollt.

Nach 9 Stunden Autofahrt erreichen wir endlich die Grenze zu Uganda. Ich hasse die Grenzen in Afrika. Überall stehen und laufen die bewaffneten Männer herum, die hier am Grenzübergang Kaya nicht wirklich sehr freundlich sind. Sie sitzen unter den Bäumen, bohren in der Nase und schauen mich an als ob ich Sträflingskleidung tragen würde. Nachdem ich auch beim Einreisen so Probleme hatte, hoffe ich doch sehr, dass diesmal alles gut geht. Ich steige aus und gehe in die erste kleine bunte Holzhütte und bin so freundlich wie ich nur kann. Soll ich nach dem Befinden der Familie fragen oder ist das schon zu viel der Freundlichkeit? Nach lustigem Herumalbern mit den jungen Männern bekomme ich meinen nötigen Stempel in meinen mittlerweile doch recht abgenutzten Reisepass und freue mich eine Station ohne weitere Vorkommnisse überstanden zu haben. Raus aus der Hütte und weiter zum nächsten Grenzposten, doch wo ist denn jetzt das Auto? Da stand doch vor ein paar Minuten noch das Auto mit dem Fahrer am Steuer, der eine blauen Mütze auf hat… H A L L O ? Das darf doch jetzt echt nicht wahr sein! Da stehe ich nun, völlig verwirrt, allein im Niemandsland und kenne mich überhaupt nicht mehr aus. Es wuselt nur so von schwer bepackten Menschen, die den Hügel entweder rauf oder runter wollen und mir mit ihrem „How are you?“ auf die Nerven gehen. TOLL! Zwischendrin sitzen Männer unter gelben oder roten Sonnenschirmen, bieten mir an Sudanesischen Pfund in Uganda Schilling umzuwechseln und mir „Sister“ oder „Madame“ hinterherrufen… wo ist das Auto? Das ist doch weiß, oder? Nach kurzem Überlegen kann eigentlich nur eine Richtung logisch sein: also rauf auf den Hügel. Doch was ist jetzt schon wieder? Alle Menschen in meinem näheren Umfeld keifen mich auf einmal an, ich solle gefälligst stehen bleiben und mich bloß nicht rühren! Ich bekomme es schon mit der Angst zu tun, warum um Himmelswillen? Ich habe doch nichts gemacht!? Ich schaue mich um und realisierte auf einmal, das alle um mich herum zu Statuen erstarrt und stumm geworden sind. Ich glaube, selbst die Vögel haben für einen Moment aufgehört zu zwitschern. Was machen die da? Es ist wirklich ein sehr komisches Gefühl mit anzusehen wie Afrika auf einmal aufhört zu existieren. Das energische Treiben, das wilde Schreien, die bunt gekleideten Menschen, die kleinen dreckigen Kinder… alles hatte einfach gestoppt, wie wenn jemand die Pausetaste beim Kassettenrekorder gedrückt hätte. Großartig, es gibt einen Ausschaltknopf für den Sudan!? Kann man das öfter machen am Tag? Nach einer Minute ist alles vorbei und jeder machte da weiter wo er aufgehört hat. „Sister, Sister“ schreit es auf der einen Seite und „Madame, Madame“ auf der Anderen. Es ging alles so schnell, dass ich diesen Zustand des absoluten Stillstands gar nicht richtig genießen konnte. Es war einfach unglaublich! Nur: Warum? Ich hab nur irgendwas von Flagge mitbekommen und erst 2 Tage später erfahren, dass jedes Mal, wenn morgens die Flagge gehisst und am Abend wieder eingeholt wird, gleichzeitig eine Gedenkminute ist an die verstorbenen Menschen im Krieg und das sich niemand rühren darf, der sich in der Nähe der Flagge befindet.

Ok, die Flagge ist da wo sie hin gehört nur ich habe noch immer keine Ahnung! Haben die mich etwa ausgesetzt? An der Grenze? Ich bin nicht nur weiblich, weiß und allein sondern fühle mich jetzt auch noch wie ein streunender Straßenköter, der mit der Wäscheleine um den Hals irgendwo auf einer Autobahn ausgesetzt wurde … und das ohne Brille auf. Ich bin schon mehr als genervt von den ganzen Männern, die mich ständig nach meinem Befinden fragen, FUCK OFF, verdammt nochmal! Nach 20 Minuten auf den Hügel hinauf kämpfend und immer wieder stehen bleibend um zu schauen ob ich nicht doch ein bekanntes Gesicht entdecke, sah ich tatsächlich eine mir bekannte Frisur: GRACE! Das mit den bekannten Gesichtern ist nämlich immer noch so eine Sache. Es ist schon viel besser geworden, aber ich versuche mich nach wie vor an persönlichen Merkmalen meiner Mitmenschen zu orientieren. Es ist schon vorgekommen, dass ich Leute drei Mal in einer Woche wie völlig Fremde begrüßt habe, da ich mir einfach das Gesicht nicht merken könnte. Wie auch, wenn ich fast täglich Dutzende Menschen treffe und alle James, Kenyi oder Charles heißen. Bei den Frauen ist der bevorzugte Name Rose, Mary oder Joyce. Wenn ich neue Namen in mein Handy eingebe, brauche ich ständig zusätzliche Wörter wie Taxi, Auto, Foto, etc. und selbst diese Hilfestellungen gehen mir langsam aus.

Grace wartet oben am Zaun auf mich. Die anderen beiden haben noch Papierkram zu erledigen und sind verschwunden. Als sie zurück kommen hat Onesimus schon die nächste Überraschung parat. Wir können mit seinem Auto nicht weiterfahren! Er hat eine Art Fahrzeugschein in Juba liegen lassen, der bestätigen würde, dass es sich auch wirklich um sein Auto handelt. Es werden scheinbar zu viele Autos im Sudan gestohlen und nach Uganda verschifft, dass ohne diese Bestätigung eine Weiterreise nicht möglich ist.  Ich kann nur lachen, das habe ich mir schon immer gewünscht: An der Grenze zwischen dem Sudan und Uganda zu stecken und nicht mehr weg zu kommen. Ich bin die einzige weiße Frau weit und breit und fühlte mich wie ein wandelndes Dollarzeichen, das nur darauf wartet für eine falsche Handbewegung in die dreckigen Taschen greifen zu müssen.

Aber nichtsdestotrotz ist eine Lösung des Problems „schnell“ gefunden. Jacob muß mit dem Auto nach Juba zurückfahren. Onesimus, Grace und ich fahren mit dem Taxi in das nächste Städtchen in Uganda um dort mit dem Bus morgen weiterzufahren. Es dämmert mittlerweile schon und die Sonne leuchtet in den schönsten Rottönen vom Abendhimmel. Allein dieser Anblick ist diese ganze Strapaze echt wert. Lärm, Staub und die typischen Straßenlokale mit viel zu lauter Musik erwarteten uns. Wir klären noch schnell, wann morgen der erste Bus nach Kampala aufbricht und fahren in ein kleines Hotel. Die Leute sind sehr nett und wir bekommen sofort zwei Zimmer. Ich teile mir ein Bett mit Grace. Das Zimmer ist schon okay, die Kakerlaken zeigen sich nicht gleich und zwischen dem laut dröhnenden Generator und unserem Bett ist ja immerhin noch eine dünne Mauer. Eine Klospülung gibt es nicht, aber immerhin ein Klo. Das Licht im Bad ohne Fenster funktioniert auch nicht, aber es gibt einen kleinen Spiegel. Nach 2 Bier und Eier mit Pommes bin ich nur noch reif fürs Bett. Der Generator wird um 24h auch endlich abgedreht und das meine schwere und kratzende Bettdecke, eher ein Wandteppich, riecht wie ein erlegtes Stinktier ist mir heute eigentlich auch schon egal.

Nach einem Frühstück mit Ei, Toast und Kaffee sitzen wir um 9h im Bus Richtung Kampala. Ich liebe das Busfahren in Afrika. Im Radio dudelt afrikanische Musik und der Bus rast mit einem Affenzahn über mittlerweile geteerte Straßen. Die bunten Sitze sind mit transparentem Plastik überzogen und nicht alle Fenster lassen sich schließen. Gut, dass es nicht regnet. Es ist ein ständiges Hupen und waghalsiges Überholen auf den Straßen. Ich bin die ganze Fahrt über nur von der wahnsinnig tollen Natur Afrikas fasziniert und will gar nicht schlafen, wobei mir ständig die Augen zu fallen. Ich bin von der letzten Nacht doch noch ziemlich erschlagen. Ein echter Elefant in freier Wildbahn und eine kleine Horde Antilopen lassen mich meine letzte Nacht aber ziemlich schnell vergessen. Bei jedem Zwischenstopp in den Städtchen und den Dörfern wird unser Bus von lautrufenden Straßenverkäufern umbringt, die wie wild einem frischen Kassawa, Wasser, dubioses Fleisch am Stöckchen oder gegrillten Mais anbieten. Lebendige Hühner mit zusammengebundenen Beinen gibt es dabei genauso zu erwerben wie das neueste Kochtopfset. Oder doch eher die warme Milch im 5 Literkanister und dazu Chapati mit Ei? Alle wollen ihr Zeug loswerden und wenn ich nur etwas Interesse zeige, kommt die ganze Meute an mein Fenster gelaufen und versuchen mir ihre Ware zu verkaufen. Es ist ein Überlebenskampf, wo nur das Recht des Stärkeren zählte. Ich bin schon froh, dass ich im Bus sitze und nicht aussteigen muß. Es wird gehandelt und gefeilscht. Es wird geschrien und gedrängelt. Für umgerechnet 80 Cent bekomme ich 3 Stück große gegrillte Kassawa und einigermaßen kaltes Wasser. Nach 8 Stunden Fahrt kommen wir dann endlich in Kampala an. Onesimus und Grace verabschieden sich von mir und ich will nur noch irgendwo unter eine kalte Dusche. Egal wo!

© Corinna

PS: Auf der Reise von Kampala nach Nairobi bin auch ich an persönliche Grenzen gekommen und es war ein Trip mit vielen unerwarteten Aspekten… Erst morgen werde ich mit Freunden nach Mombasa weiterfahren. Wieder Bus, wieder on the Road. Ich bin schon auf vieles gefasst, aber das Abenteuer Afrika geht weiter und man weiß NIE was einen an der nächsten Straßenecke erwartet…

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