Scary Paradise

Yei ist mit mittlerweile mehr als 80 000 Einwohnern eine verhältnismäßig saubere Kleinstadt in der Region Zentraläquatoria im Südwesten des Landes und liegt nur 30km entfernt von der Grenze zu Uganda. Yei wurde während des Sezessionskrieges schwer umkämpft, ist seit 1997 in sicherer Hand der SPLA (Sudan People´s Liberation Army) und heute einer der Verwaltungssitze der Freiheitskämpfer.  Schon bei der Reifenpanne, die wir auf der Fahrt von Juba Richtung Yei hatten, war mir der rege Verkehr von vollbesetzten Fahrzeugen aufgefallen, die bis auf die Zähne bewaffnete Soldaten von A nach B bringen. Es ist und bleibt einfach ein Anblick, an den ich mich nicht gewöhnen kann und ich versuche diese Männer so gut es geht einfach aus dem Weg zu gehen.

Yei wirkt auf den ersten Blick sehr idyllisch, fast einladend und nicht ganz so chaotisch. Oder vielleicht sollte ich eher sagen: das ganze Chaos verteilt sich mehr als anders wo. Überall stehen großgewachsene Palmen in der Landschaft, die stolz in satten grünen Wiesen thronen und eine gewisse Gemütlichkeit vermitteln. Die breiten erdfarbenen Straßen lassen Überholmanöver zu, die nicht gleich einem Selbstmordversuch ähneln und auch das Klima ist wesentlich angenehmer als in Juba. Fast schon paradiesisch hier. Die langsam aber sicher beginnende Regenzeit gibt der fast schon vertrockneten Vegetation das blühende Leben zurück und der dazu gehörigen Tierwelt gleich mit. Ich habe schon ganz vergessen wie laut doch diese kleinen glitschigen Frösche sein können, die nachts in irgendwelchen kleinen dreckigen Pfütze sitzen und lautstark vor sich hin quakten sobald der erste Regentropfen vom Himmel fällt.  Ich warte  stets darauf, dass die kleinen graubraunen Scheißerchen einen trockenen Hustenreiz erleiden und endlich die Backen halten, aber diesen Wunsch will mir das Universum einfach nicht erfüllen, mir bleibt also nichts anderes übrig als mit dem Quakkonzert meinen Takt zu finden um einigermaßen schlafen zu können. Dazwischen hallen immer wieder skurrile Tierlaute über den Compound, wo ich mir bis heute noch nicht sicher bin, ob diese Laute nicht doch vielleicht menschlich sein könnten? Der große Mangobaum vor meinem gemieteten Tukul, verspricht Schatten in der Sonne, aber Vorsicht in der Nacht. Ständig fallen verdorbene und schon übel riechende Mangos zwischen den mächtigen Ästen herunter, womit der Gang von Kakerlaken bewohnten Latrine mit der Taschenlampe und festem Schuhwerk an das andere Ende der Anlage, eher was von einem Hürdenlauf bekommt als nur: „ Ich geh mal kurz aufs Klo!“. Ich glaube, so eine Mango aus 5 Meter Höhe, tut ganz schön weh auf dem Kopf.

Ich bin erst seit 2 Tagen in Yei und habe noch keine richtige Gelegenheit gehabt, mir einen Überblick über das kleine Städtchen zu verschaffen. Meine Einkäufe habe ich bisher immer allein zu Fuß erledigt und das meist auch nur um die Ecke,  aber selbst da bleiben Überraschungen nicht ausgeschlossen. Ich treffe Pamela. Sie ist Schneiderin und sie sitzt mit ihrer kleinen alten mit fußpedalbetriebenen Nähmaschine vor einem Backsteingebäude und verarbeitet afrikanische Stoffe zu langen Kleidern, komplizierten Röcken oder anderen pompösen Outfits. Ich bin von ihrer Arbeit sehr beeindruckt. Sie arbeitet ohne jegliche Schnittmuster, Anleitungen oder Vorlagen, die die vielen Rüschen, sonderbaren Ausschnitte oder wirren Zusammenschnitte irgendwie erklären würden. Sie hat ein Maßband, aus. Ich frage sie, ob sie mir nicht auch solch ein tolles Outfit nähen könnte, schließlich bin ich jetzt schon so lange in Afrika und habe es immer noch nicht geschafft, mir wenigstens einen Rock nähen zulassen. Mit einem Lachen im Gesicht zeigt sie mir von Wind und Wetter zerfressene Plakate in A1 mit vielen kleinen Bildchen drauf und sagt, ich soll mir nur aussuchen, welches Design mir am besten gefallen würde und dann geht das schon. Super! Ich muß grinsen als ich die lustigen Bildchen betrachte, wo dicke afrikanische Frauen abgebildet sind, die mich allesamt an einen Quellekatalog erinnerten aus dem Jahre 1972. Nach einigen Minuten hin und her wälzen der großen Poster schien eine dieser Damen meinem Geschmack zumindest etwas zu entsprechen und die Maße meiner wichtigen Körperstellen sind auch schnell zu Papier gebracht. Den Stoff für mein neues Gewand müssen wir allerdings erst am Markt einkaufen gehen, aber auch das ist kein Problem. Schnell die Nähmaschine in die Ecke gestellt, die Türen verriegelt und wir sind schon unterwegs Richtung großen Markt.

Sie scheucht mich herum zwischen wirren verdreckten Straßen, heruntergekommenen selbstgebauten Hütten, immer noch spärlich ausgestattetem Gemüsemärkten und halbverwesten Tierresten, die zum Verkauf angeboten werden. Zwischen dem ganzen Krimskrams, fragwürdigen Elektrogeräten und bunten Plastikschuhen versuche ich Schritt zu halten und nicht zwischen Stoff aussuchen hier, ein Foto machen da, verloren zu gehen, denn ich bin schon wieder total orientierungslos. Ich weiß nicht mal wie meine aktuelle Wohnadresse geht, ich habe mir nur mit Mühe und Not gerade die 3 wichtigen Buchstaben der NGO gemerkt, wo ich im Moment untergekommen bin, also bloß nicht verloren gehen…

Nach einigen bunten Stoffen, viel zu vielen Farben und einigen Fotos mehr bin ich 9 Euro ärmer, besitze 7,2lfm Stoff und eigentlich will auch nur noch weg hier. Pamela bringt uns auf die Straße zurück und ich komme einfach nicht dazu meine Kamera einzupacken. Von überall her schreien die Leute mir zu, ich solle doch bitte noch ein Foto machen und beginnen wilde Posen vor mir zu machen. Im Grunde genommen freut mich das, dass die Leute so offen sind und noch mehr Fotos haben wollen, doch aus der Erfahrung heraus, weiß ich auch, dass es eigentlich nicht lange dauern kann bis wieder ein selbsternannter Mr. Oberschlau vor mir steht und irgendeine Erlaubnis zum Fotografieren oder ähnliches von mir haben will, die ich sowieso nicht besitze und es irgendwie auch gar nicht gibt. Und ich habe recht: Es hat genau 9 Min und 27 Sekunden gedauert, bis ein großer übergewichtiger …oh, nein: DINKA vor mir steht! Ich realisiere im ersten Moment gar nicht was er eigentlich von mir will und zeige den Kindern noch ihr Foto, auf das sie sich schon gefreut haben. Mit einem Lächeln will ich mich noch von den Kids verabschieden als mich der große schwarze Mann schon am Arm packt und mir mit der Polizei droht. Erst jetzt wird mir klar, dass das kein normaler Mr. Wichtig ist. Er brüllt mich an, zerrt an meiner Kamera  und hat meinen rechten Arm immer fester in seiner großen schweren Hand. Die typischen eingeritzten Narben auf seiner Stirn sehen noch gefährlicher aus als sonst und seine kleinen schwarzen wütenden Augen lassen mich nur erahnen was er am liebsten mit mir machen würde. Als er mir auch noch mit einer Waffe droht, die er hinter seinem Rücken aus dem Hosenbund hervorgeholt und mich zwingen will in sein Auto einzusteigen bin ich wahrscheinlich schon ganz grün im Gesicht. In diesem Moment wird mir klar: Scheiße verdammt! Ich hatte jetzt ein richtiges F*** Problem. Ich bin weiß, weiblich, allein und ich habe keine Ahnung was als nächstes passieren wird. Wirre Gedanken schiessen mir durch den Kopf und niemand weiß wo ich bin! Aber wen hätte ich auch noch informieren sollen? Das Auswärtige Amt? Das Ministerium? Die Botschaft? (M)ein letztes Post auf Facebook? Hätte ich vor meinem Marktbesuch noch ein Email schreiben sollen an Freunde und Familie?

Ich versuche ihm die Situation zu erklären und mich loszureißen. Ich meine, hätte ich einfach so zu einem fremden bewaffneten schwarzen Dinka-Mann in ein Auto einsteigen sollen? Würde er mich auch wirklich zur Polizei bringen? Weiß ich das? Oder erschießt er mich jetzt auf offener Straße, nur weil ich ein Bild von Kindern gemacht hatte? Das ist doch verrückt? Erst jetzt wird mir klar, wie verrückt und allein ich wirklich bin und wie normal diese Szene für die Menschen hier ist. Die ganze Straße hat sich mittlerweile in ein großes Irrenhaus verwandelt und ich stehe mittendrin. Großartig! Ich schaue mich hilflos um und stelle fest, dass es hier genau niemanden gibt,  der mir helfen könnte oder auch wollte. Niemand ist da, der mir erklärt was hier eigentlich los ist oder mich beruhigen kann.  Ich versuche Ruhe zu bewahren (!!!) und zittere zugleich am ganzen Körper.  Pamela ist immer noch bei mir und schaut genauso hilflos wie ich. Nachdem alle auf mich einreden, dass ich doch in das Auto einsteigen soll und mich der Mann sowieso immer noch am Arm festhält, bleibt mir gar nichts anders übrig als in den großen weißen Land Cruiser einzusteigen. Ok, fahren wir zur Polizei!

Und tatsächlich: wir kommen auf einer Polizeistation an, wo zumindest uniformierte bewaffnete Männer gelangweilt unterm Mangobaum sitzen und ich mit diesem Verrückten nicht alleine bin. Wir werden in das Office geführt und warten beide andächtig auf das was jetzt wohl passieren wird. Die Männer reden aufgeregt miteinander, Pamela und ich müssen uns ruhig in eine Ecke sitzen. In der anderen Ecke steht ein kleiner Fernseher, der einen alten unlustigen Schinken aus den 80igern spielt und viel zu laut aufgedreht ist. Halbherzig zwischen Fernsehprogramm und meinem schwerwiegenden Delikt wird lautstark (der Fernseher ist immer noch zu laut aufgedreht) Gespräche geführt und diskutiert. Ich beruhige mich etwas und warte und warte und warte bis endlich jemand das Wort an mich richtet. Vorher wird natürlich noch herzlich über die lustige Szene im Fernseher gelacht. Das ist doch total lächerlich was hier läuft…. Ich muß meinen roten Rucksack auspacken und ihnen meine komplette Kameraausrüstung erklären. Ich denke mir nur, hoffentlich konfiszieren die nicht alles, das ist nicht so unüblich. Wie mache ich denen nur klar, dass ich nur eine arme NGO Mitarbeiterin bin, mit dem ganzen Kram, und nur zu Besuch bin bei… SHIT: Wie heißt die NGO doch gleich, wo ich untergebracht bin CRA? ARC? RAC? … denk nach CORINNA! Beweisstück für Beweisstück wird schriftlich in ein dickes schwarzes Buch eingetragen: Digicam, externer Blitz, Analogkamera, 2.Objektiv, Stativ, 2.externer Blitz, Filme, Batterien, Fernauslöser, Geldbeutel, Bonbon, Handy, Ersatzkarten für die Digicam… als sie mich fragen, was ich mit einem O.B. mache, denke ich mir nur: am liebsten ein Foto von euern verdutzen Gesichtern, als ich ihnen mit einer Geste klar mache, wo dieses Stück Watte eigentlich hingehört. Ok, Spaß bei Seite, die Sache ist doch noch ziemlich ernst. Es ist immer noch unklar, ob ich meine ganze Kameraausrüstung wieder zurück bekomme und über eine mögliche Geldstrafe möchte ich erst gar nicht nachdenken, es ist alles noch offen, es ist alles noch möglich. Wieder eine lustige Szene im Fernsehen und wieder wird herzlich gelacht.

Eine alte Frau kommt in den Raum und die Männer befehlen, dass Pamela und ich mit ihr mitgehen sollen. Was kommt denn jetzt noch? Sie führt uns in einen kleinen Nebenraum, wo oberhalb des Türrahmens ein weißer Zettel mit der Aufschrift “Police” angebracht ist. Sie deutet mir, dass ich mich ausziehen und alles was ich in den Taschen habe ausräumen soll. So stehe ich nun da, nur in BH und schwarzem String und muß mich von der alten Frau, die total ziellos und ohne jegliche Ahnung über das was sie eigentlich macht, durchsuchen lassen. Ich glaube, sie ist eigentlich nur die Putzfrau, denn sie macht ihren Job nicht besonders professionell, außerdem trägt sie keine Uniform oder irgendwas, was sie als Polizistin identifizieren würde. Meine Brüste hat sie gleich mehrmals „durchsucht“, in dem sie immer wieder mit ihrem kleinen dürren Zeigefinger darauf herum drückt und meinen String findet sie mehr als fragwürdig. Leider habe ich kein Wort verstanden als sie vor sich hin gekichert, aber wenigstens hat hier eine von uns ihren Spaß! Als wir damit fertig sind, muß ich noch meine persönlichen Daten angeben und ihnen genau erklären wo ich nun hingehöre und was ich hier eigentlich mache. Mit Mühe und Not habe ich irgendwas von „ACR“ gequasselt und ob die genaue Erklärung der drei Buchstaben dazu stimmen, weiß ich eigentlich bis heute nicht. Sie haben mir auf jeden Fall geglaubt, dass ich nur zu Besuch hier bin und nicht wusste, dass ich auf der Straße nicht fotografieren darf oder soll oder was auch immer.

Doch dem nicht genug. Es ist ein ewiges hin und her. Ich muß nun alle meine Bilder herzeigen, die ich zuletzt gemacht habe und komischerweise erklären sie mir auf einmal, dass ich unschuldig bin. AHHHHHHHHHHH! Was heißt jetzt hier unschuldig? Was habe ich gemacht? Warum bin ich hier? … Gut, ich bin unschuldig auch recht. Dennoch muß ich die Bilder löschen, die eine Straßensituation zeigen und somit war das Problem im Moment fast erledigt. Aber nur fast. Ich habe scheinbar (noch) gegen ein anderes Gesetz verstoßen: Ich habe mich gegen die Anweisung des Polizeioberhauptmanns widersetzt. (Der große übergewichtige bösdreinschauende Dinka ist nämlich der Chef hier) Ich habe mich ihm nämlich widersetzt! Ich habe mich ihm nicht nur widersetzt sondern auch widersprochen und ich hatte mich zur Wehr gesetzt. SCHULDIG! Es nimmt und nimmt kein Ende. Ich versuche ihnen zu erklären, dass es in meinem Land nicht üblich ist, dass bewaffnete Polizeimänner in zivil, andere Menschen mit einer Waffe bedrohen ohne vorher zu sagen wer sie eigentlich sind, schon gar nicht wegen einem Besucher der Fotos auf der Straße macht, da könnte ja jede kommen! Woher sollte ich wissen, dass er ein Polizist war? Schlussendlich bleibt mir nichts anderes übrig mich bei Mr. Wichtig für mein unsittliches Verhalten zu entschuldigt, zu versprochen keine Bilder zu machen und einfach JA und AMEN zu sagen, zu all seinen Vorwürfen. Nach fast 2 Stunden war mir einfach alles recht um nur hier wegzukommen. Ich habe alle meine ganzen Sachen wieder bekommen und nur eine Verwarnung bekommen wegen Fotografieren auf der Straße. Keine Geldstrafe, keine Nacht im Gefängnis. Ich habe wirklich Glück?!

Diese Situation ist eine ordentliche „Kulturwatschn“  für mich gewesen und hat mir wieder mal gezeigt, wie schnell Situationen umschlagen können und dem komplett ausgeliefert ist. Es ist nicht das erste Mal, dass ich Probleme habe mit meiner Kamera und es ist nicht das erste Mal, dass ich mir Geschichten überlegen musste über den Job, den ich hier mache, meinen Arbeitsplatz und über meine privaten Lebensverhältnisse. Einer NGO (Non-Governmental-Organization)  in einer  wichtigen Position anzugehören, zwei Kinder zu haben und einen Ehemann, der mit mir jeden Sonntag in die Kirche geht,  ist immer von Vorteil und hat mich in meiner letzten Situation doch gerettet. Zu oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass Menschen mir nicht glauben oder sie mir gegenüber misstrauisch werden, wenn ich ihnen erzähle, dass sich mein komplettes Leben im Moment in einem blauen Koffer befindet und ich allein in Afrika unterwegs bin! Außerdem ist es nicht ratsam jedem zu erzählen, was man wirklich macht, weiß ich denn wer mein Gegenüber ist?  Manchmal muss ich mich wirklich selber fragen: was habe ich mir eigentlich dabei gedacht, als ich allein in ein Flugzeug eingestiegen bin mit dem Ziel Afrika! Ich bin ehrlich: Ich hab ja keine Ahnung!

Die letzten Worte der Polizisten waren, dass ich Stillschweigen zu bewahren habe und niemals diesen Vorfall bei „meiner“ NGO erwähnen darf, sonst wird Pamela verhaftet. Wie schaut das denn aus, wenn ausgerechnet die Leute, die den Menschen hier helfen wollen, mit einer Waffe bedroht, von der Polizei verhaftet und von der Putzfrau durchsucht werden…  But you are very welcome in paradise!

© Corinna

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