Fremde Heimat

Ich bin ausgelaugt, erledigt und mein Körper schreit: Time out! Ich bin zurück in Kajo Keji im Südsudan und ich bin im Moment auch wirklich froh wieder hier zu sein. „Welcome back!“ jubeln mir die Menschen zu,  wenn sie mich sehen und mir mit voller Freude um den Hals fallen oder mit einem kräftigen Handschlag „Hello“ sagen. Mit all meinen neugewonnen Eindrücken und Erlebnissen erscheint mir dieses Fleckchen Erde wie ein Paradies. Es ist sauber, friedlich, ruhig, sicher, übersichtlich, naturbelassen, freundlich, warm. Eine kleine Welt, wo die Buschtrommeln noch funktionieren, Jeder jeden kennt und der Kajo Keji Gossip die Tageszeitung ersetzt. Die Frauen am Greenmarket versuchen mir immer noch überteuerte Tomaten zu verkaufen, die Köchin in der Küche trägt schon wieder ihr T-Shirt mit der Aufschrift „Titten raus! Es ist Sommer“ und  ich werde für eine lange Zeit wieder ohne Joghurt und Schokolade auskommen müssen. Die Menschen sind freundlich weil sie so sind und ich kann mich ohne Security-Service von A nach B bewegen. Ich kann telefonieren wo ich will (theoretisch), ich muss meine Wäsche wieder selber von Hand waschen (die italienische Waschmaschine zickt schon wieder, typisch!) und ich brauche keine Angst zu haben, wegen ein paar Dollar an der nächsten Straßenecke überfallen zu werden, nur weil ich weiß bin. KK (Kajo Keji) ist fast schon ein Stück weit Heimat für mich geworden.  Nach mehr als 2 Monaten beziehe  ich wieder (m)ein Zimmer auf der Missionsstation, die Tasse Kaffee an der Hintertür ist schon ein wichtiges Ritual geworden und mein Insektenspray gegen Kakerlaken & Co gibt es auch noch. Die Nachbarn haben mich vermisst und fragen mich noch immer wann sie endlich ihre Fotos bekommen (Kaum englisch sprechen, aber das Wort „Prints“ kennen…). Ich genieße die Zeit hier. In Sicherheit. In gewohnter Umgebung. In einem Zimmer, wo ich einen Schlüssel besitze… und den darf ich sogar mit mir herumtragen.

Die Reise von Juba bis nach Mombasa war großartig, nur fliegen kann schöner sein. Mal davon abgesehen, dass ich in den letzten 3 Wochen 7 Tage davon in Bussen oder im Zug verbracht habe, gegen Koffer packen so langsam aber sicher eine Allergie entwickle und das Wort „VISA“ einen Schreikrampf bei mir auslöst, war dieser Trip eine unglaublich Bereicherung für mich um zu verstehen wie anders doch der Südsudan ist. Oder muss ich sagen: Ich bin weit davon entfernt zu verstehen, aber eines weiß ich ganz sicher: der Südsudan ist nicht nur anders, sondern besonders anders. In Wien steht das wenigstens gleich auf einem Schild am Stadtrand …Wien ist anders… aber hier?

Ich kann nur sehr schwer sagen, welche Momente mich auf meiner Reise durch 3 Länder am meisten bewegt haben:

Waren es die strapaziösen meist 10-13 stündigen Busfahrten, in alten klapprigen, zu Regenzeiten meist völlig durchnässten Bussen (manchmal ohne Fensterscheibe), die einem eine 50:50 Chance ausrechnen lassen auch an einem Stück am gewünschten Reiseziel anzukommen? Voraussetzung war natürlich, nicht schon vorher am Grenzübergang vergessen zu werden oder gar nicht rechtzeitig zurück zu sein vom Latrinengang. Ich habe grundsätzlich versucht diese Lokalitäten zu vermeiden, aber auch eine „Schmid“ muss mal aufs Klo. Es waren schwarze dunkle Löcher im Boden, die meist schon von weitem hörbar oder riechbar sind und sich hinter alten morschen farbigen Holztüren befinden, die sich kaum schließen lassen. Manchmal waren es lange dunkle schmale Gänge, die zu überwinden waren, bevor einem die Erleichterung ins Gesicht geschrieben war. Eine Klospülung war meist Luxus. Genauso wie ein Stück Seife oder Klopapier. Vielleicht stand irgendwo ein Eimer Wasser herum, wo ich meist nicht genau wusste: Züchten die irgendwas da drin…? Hände waschen: NEIN, DANKE!

Oder war es das beindruckende Naturschauspiel in Kenia? Dieses „Drama“ verlangt nach einer Großformatkamera. Ich bin eigentlich kein Fan von Landschaftsaufnahmen und Blumenbildern. Ich kann mir wirklich spannenderes vorstellen als stundenlang im Gras zu sitzen um zu warten bis die blaue Stunde einsetzt und das Licht mir die richtige Perspektive ermöglicht,  aber hier einen Monat herumzufahren um die Natur zu beobachten und diese Naturgewalten zu fotografieren wäre absolut fantastisch. ( Mitm „Zeltln“ kenn ich mich ja jetzt aus…) Es war unglaublich mit anzusehen wie große schwere bauschige Regenwolken über der weiten Ebene Kenias hängen, bedrohlich herunter regnen als ob es kein Morgen mehr geben würde und der eiskalte  Wind über die Landschaft fegt. Der Himmel ist auf der anderen Seite noch azurblau und die Sonne scheint. Alles so greifbar. Alles so intensiv farbenfroh. Die braunrote Erde, die zwischen den viel zu grünen saftigen Wiesen hervorschaut stellt jede Digitalkamera vor neue Herausforderungen diese Farbenpracht auch richtig wiederzugeben ohne über Farbmanagement oder Farbprofil nicht eine heiße Diskussion auszulösen, die meist sowieso eher in einer kompletten Verwirrung endet. Es gibt Pflanzen und Sträucher, die blühen und verwelken zugleich und ich noch nie zuvor gesehen habe, immer wieder vereinzelte Bäume, die einfach so in der Landschaft stehen und so systematisch gewachsen sind, die jeden Botaniker euphorisch werden lassen würden. Im Hintergrund immer noch einen Himmel der den Weltuntergang verspricht. Und dann, wenn man glaubt, man hat die Vollkommenheit Afrikas mit bloßem Auge erblickt und es gibt keinen Platz mehr für noch mehr Information in meinem kleinen Kurzzeitgedächtnis und ich jetzt schon nicht mehr weiß wie ich all diese tollen Momente mir jemals behalten soll ( Nur nochmals zur Info: Ich sitze in einem alten klapprigen Bus, der mehr was von einer Badewanne hat, innen so wie außen, und mit einem Affentempo über die Straßen rast. Die Fenster sich nicht öffnen/schließen lassen, was eigentlich auch egal ist, und es regnet wie aus Eimern. Und das ganze ohne Großformatkamera, sondern nur mit meiner kleinen „Knipse“, die nicht durch die Fensterscheibe fotografieren kann) geht das Abenteuer Afrika erst richtig los: Ein Zebra! Toll! Da stehen doch tatsächlich grasende Zebras am Straßenrand und schauen einen nur verdutzt an, kleine Giraffenherden stehen im Hintergrund und Antilopen hüpfen unschuldig durch die Landschaft. Ist das GEIL! Ich weiß nicht genau, ob ich den Abend zuvor mit dem Hotelstuff zu viel Uganda Gin getrunken hatte, aber ich war total gerührt. Es war ein bunter Traum aus Farben, Natur und mir.

Anders beschäftigt hat mich Nairobi. Nach einigen Wochen, eigentlich schon Monate,  Aufenthalt in einem Land, welches am Existenzminimum dahin vegetiert, erscheint mir diese Großstadt wie eine riesige Spielzeugkiste mit viel zu viel Spiel, mit viel zu viel Zeug, zu viele Möglichkeiten all die zurückgebliebenen menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Ich habe ein paar Tage gebraucht um mich an all das breitgefächerte Angebot dieser konträren Stadt zu gewöhnen. Die Stadt wirkt organisiert und gesittet auf der einen Seite und beherbergt einen der größten Slums Afrikas auf der anderen Seite. Was will ich zuerst machen? Einkaufen, shoppen, Kaffee trinken, Essen gehen, Friseur, Maniküre, Massage, Schuhe, Schmuck, Kino, Buchladen, Eis essen etc. Es gibt Supermärkte mit Beschreibungen an den Regalen, Shops mit vertrauenswürdigen Firmennamen, Restaurants und Bars mit Speisekarten. Es ist toll sich wieder Gedanken zu machen welches Duschgel einen am ehesten anspricht und das Wasser in der Dusche wieder selber regeln zu können, warm oder kalt? Aber es ist immer noch Afrika. Die Grenzen zwischen arm und reich liegen so nahe beieinander wie Edamer und Gouda im Kühlregal  (ach ja, hab ich schon erwähnt, dass ich Käse vermisst hab) und die Kriminalitätsrate ist ins Unermessliche gestiegen. Bei Eintritt der Dunkel ist alleine durch die Straßen schlendern strengstens untersagt und die Türen und Fenster während der Autofahrt müssen immer geschlossen bleiben in bestimmten Bezirken. Die tollen Häuser sind alle eingezäunt mit grauem Stacheldraht und haben abgebrochenen Glasscherben auf den hohen Mauern. Überall stehen bewaffnete Wachleute und uniformiertes Sicherheitspersonal herum, die dafür vorbereitet sind, das Anwesen zu verteidigen, wahrscheinlich! Die Menschen sind zwar alle nett, aber vielleicht nicht einfach nur so. Es ist ein ständiges aufpassen und ein für mich lästiges Abhängig sein von Menschen, Tageszeiten und Ziel. Fragen wie: „ …bringt mich dieser Taxifahrer auch wirklich an mein gewünschtes Ziel? Was ist wenn nicht…? Bin ich überhaupt in ein richtiges Taxi eingestiegen?“ war keine Seltenheit. Diese Stadt ist wie ein goldener Käfig und keiner kommt aus.

Es waren noch so viele Eindrücke und Erlebnisse, die mich überschwemmt haben, dass es schwer ist all dieses neu gewonnene Wissen auf Papier zu bringen, zu ordnen. Afrika kann wie ein Malkasten sein mit zu viel bunt. Ein Buch mit zu viel Text. Ein Gefühl mit zu viel Emotion. Dieser Kontinent ist schwer zu begreifen, kaum zu verstehen und nicht immer einfach. Meine schlechte Orientierung kostet mich oft den letzten Nerv und die anbrechende Regenzeit ist noch etwas gewöhnungsbedürftig für mich. Aber irgendwie schwimme ich einfach nur mit in diesem endlosen Strom aus Chaos, Verwirrung, Regeln, die ich nicht verstehe und ich bekomme einfach nicht genug davon. Ich bin vom „Afrikafieber“  total infiziert und es gibt kein Gegenmittel dafür!

Gegen meine Malaria allerdings schon.

 © Corinna

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