Du hast die Wahl!

Schon seit Wochen beschäftige ich mich mit der Politik und der Geschichte im Sudan. Ich lese Bücher, stöbere im Internet und gehe den verschiedensten Leuten aus unterschiedlichen Organisationen mit meinen Fragen über die Wahlen am 11.-13. April 2010 auf die Nerven. Ist es doch eine wirklich historische Zeit im Moment: DER SUDAN WÄHLT!? (Stand: 28. März 2010, 21:16h, Standort: Nähe Juba) Und ich bin mitten drin! Oder besser doch nicht?

Juba, die Hauptstadt des Südens, hat sich in eine wilde Müllhalde mit viel zu bunten Wahlplakaten, kitschigen Layouts und ziemlich schrägen Porträtaufnahmen verwandelt. Überall verteilt kleben die abgelichteten Kandidaten auf billigem Posterpapier und einem Stück Klebeband an den abgerissenen Ecken, auf dreckigen Hauswänden, großen Land Cruisern und in heruntergekommenen Supermärkten. Kleine Fähnchen hier, lustige Aufkleber da. Manche klapprigen Gefährte sind so zugekleistert mit Papier, dass ich mich fragen muss: „Sehen die überhaupt noch was raus hinter ihrem Lenkrad, oder wie ist das jetzt?“ Freedom… Peace… Prosperity… schreit es mir entgegen von riesigen Werbetafeln, die so groß sind wie halbe Fußballfelder und hoch oben über den Blechdächern von Juba hängen. Wer druckt die hier eigentlich und wie werden die nur montiert…? Dieses schrille Bilder wirr warr erinnert mich eher an eine Neubesetzung der Muppet Show, aber nicht an die ersten freien fairen Wahlen seit mehr als 20 Jahren im Sudan. Jedes Fotofix-Automatenbild bringt mehr Charme aufs Papier als diese Schnappschüsse von Mr. Präsident & Co. Mit der richtigen Datenmenge von digitalen Files kann hier scheinbar keiner umgehen, geschweige denn mit dem Wort: A u f l ö s u n g ? Manche der Bilder sind so schlecht ausgearbeitet, dass selbst die Pixel an Form verlieren. Viele Schriften sind einfach nur unleserlich und geben selbst mit zugekniffenen Augen keinen Sinn! Es ist und bleibt einfach alles ein einziges Chaos. Aber das scheint den Umständen entsprechend gut dazu zupassen: Der amtierende und neu wählbare (!) Präsident Omar Hassan Ahmad al-Bashir ist wegen Völkermord und Menschenrechtsverletzungen vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt und im Westen des Landes bringen sich die Menschen immer noch gegenseitig um, anstatt sich für die Wahl registrieren zu lassen. Manche der bezahlten (!?) registrierten Sudanesen, können weder lesen noch schreiben und sollen mit Hilfe kleiner Bildchen ihr Kreuz beim Urnengang hinter sich bringen. Doch wen wählen for Mr. President? Der Süden des Landes genießt im Moment die Teilautonomie, die hauptsächlich vom Stamm der Dinkas* beherrscht wird und niemand so richtig haben will. Es sind geldgierige selbstsüchtige Menschen, mit denen nicht gut Kirschen essen ist und sie eigentlich nur ihre Rindviecher im Kopf haben. ( Ich will nur am Rande erwähnen, dass ich für mehr als 2 Monate als Illegale im Land unterwegs war, weil mir die netten Männer an der Grenze „vergessen“ haben, mir für meine bezahlten 50 Dollar eine Aufenthaltsgenehmigung zu geben. Na ja, selber Schuld ) Oder eher die islamistischen Araber, die der Meinung sind, im Süden leben doch nur die „nackten Wilden“ in ihren Lehmhütten unter dem Mangobaum, die eher eine richtige Religion brauchen als Unterstützung vom Staat? Dazu kommen noch rund 50 zugelassene Parteien, zwischen denen der Wähler unterscheiden können muss… Nebenbei sollen noch Grenzen innerhalb des Landes neu definiert werden und die nötige Volkszählung ist sowieso noch nicht abgeschlossen. Wer soll sich da bitte auskennen? Um aber auf Nummer sicher zu gehen, dass niemand die schon zum zweiten Mal verschobenen Wahlen stört, werden die Grenzen zu dieser Zeit einfach dicht gemacht. Niemand kommt rein. Niemand kommt raus. Nach dem Motto: Klappe zu, Affe tot !? Die ganzen politischen Wahlvorbereitungen finden statt während sich viele der Parteien zum Krieg aufrüsten, denn verlieren will hier niemand.

Ich bin mir nicht ganz sicher ob die Menschen verstehen was im Moment um sie herum passiert, ist doch die Pressefreiheit im Sudan genau so ein Fremdwort wie ein Fernseher mit Dolby-Surround und 173 Kanälen. Wie also sollen die Menschen wissen was eigentlich los ist? Viele der Menschen haben sich zwar für die Wahl registrieren lassen, aber werden an der Wahl nicht teilnehmen, da weder der eine noch der andere Kandidat ihre Meinung vertritt. Viele Einheimische sprechen von einem erneuten Krieg und sehen sich schon wieder in Flüchtlingscamps in Uganda… Wenn nicht jetzt, dann spätestens zum Referendum im Jahre 2011, wo der Süden des Landes über seine Unabhängigkeit abstimmen kann oder wird? Wenn da nicht das viele Öl und andere Bodenschätze wären, die hauptsächlich im Süden des Landes vorhanden sind, an denen der Norden doch sehr interessiert ist… Es ist bizarr mit ansehen zu müssen wie sich dieses Land ständig im Kreis dreht und es scheinbar keine vernünftige Lösung gibt die Probleme zwischen Macht, Geld, Religion oder Ethnologie so zu lösen, dass die Menschen nicht hungern, fliehen oder gar sterben müssen. Das Leben ohne fließendes Wasser, ohne Elektrizität, so gut wie keiner medizinischen Versorgung und ohne soziales Sicherheitsnetz ist doch schon schwierig genug. Von Allgemeinbildung, Aufklärung oder Familienplanung möchte ich erst gar nicht anfangen, aber haben die Menschen eine Wahl?

ICH habe eine Wahl und ich habe (m)eine Wahl schon getroffen: nach vielen Gesprächen mit verschiedenen Leuten aus unterschiedlichen Organisationen, dutzenden Mails von Ministerien und nicht zuletzt aus Empfehlung der UN werde ich aus Sicherheitsgründen das Land für ein paar Wochen verlassen! Ich werde eine Weile nach Kenia reisen und NICHT in Juba sein während der Wahlen, es ist einfach zu gefährlich. Im Moment ist alles friedlich und ich fühle mich wohl, allerdings sind alle auf Alarmstufe ROT eingestellt und das tägliche Leben kann während der Wahlen sehr schnell zu einer für mich doch unberechenbaren Situation umschlagen. Das ist mir dann doch zu viel Afrika. Ich habe meine Visa für Kenia schon in meinem Reisepass kleben und werde mich „on the Road“ bis nach Mombasa durchkämpfen. Das dauert ca…. vielleicht 3 Tage? Nächste Woche geht’s los. Ich hab schon eine Mitfahrgelegenheit bis nach Kampala, wenn mein „Schokolade-Dealer“ sein Wort hält und mich irgendwo einsammelt !? Ansonsten kaufe ich meine Schokolade in Zukunft eben woanders.

© Corinna

Kurze Hintergrundinformationen:

Es sind die ersten Mehrparteien-Wahlen seit 24 Jahren. Es wird der Staatspräsident, der Präsident der südsudanesischen Regierung, die Gouverneure der 25 Bundesstaaten, die Abgeordneten der Nationalversammlung, der südsudanesischen Gesetzgebenden Versammlung und der 25 Bundesstaatenparlamente gewählt. Die Wahlen sind einer der wichtigsten Punkte im Friedensvertrag, dem Comprehensive Peace Agreement ( CPA ), der im Januar 2005 zwischen der Zentralregierung in Khartum und der Rebellengruppe Sudan People´s Liberation Army ( SPLA ) abgeschlossen wurde und den 2. Bürgerkrieg ( 1983-2005 ) des Landes gleichzeitig beendet hat.

*Dinka = Die Dinka sind ein schwarzafrikanisches Volk und die größte Volksgruppe im Südsudan. Die Bevölkerungszahl liegt bei ca. 2,5 bis 3 Millionen und es wird nach Regionen zwischen fünf verschiedenen Dinka-Sprachen unterschieden, die zur Gruppe der westnilotischen Sprachen gehören. Die Dinka sind groß, schlank und sie haben traditionelle Schmucknarben auf der Stirn oder im Gesicht (Skarifizierung). Rinder zählen zur wichtigsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensgrundlage des Volkes.

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